Wie eine Bäckersfrau zur Sammlerin und Kunstmäzenin wurde – und zur ersten Galeristin1 Deutschlands
Kunstwerke, ob kleine oder große, zu sammeln, hat immer individuelle Initialzündungen und Motivationen. Im Falle der zur Legende gewordene Kaffeestubenbetreiberin, Johanna Ey (1864-1947), verhielt es sich so, dass sie (mittlerweile geschieden und alleinerziehende Mutter) eine Backwarenhandlung und später eine Kaffeestube betrieb, die sich zum Treffpunkt von Schauspielern, Journalisten, Musikern und insbesondere Malern entwickelte. Erste Kontakte zur Künstlerszene bekam sie durch die Kunststudenten der nahen Akademie, denen sie preiswert Essen und Trinken anbot. Wer kein Geld hatte, ließ anschreiben oder zahlte mit Zeichnungen.2
In Porträts und Gruppenbildern zahlreicher Maler verewigt, unter ihnen Otto Dix [Abbildung und Beschreibung hier3 und hier4] oder Mathias Barz5– Johanna Ey wurde als meistgemalte Frau Deutschlands6 berühmt: „Heymann: ‘In allen Farben, die die Palette kennt, in allen Gestalten, die eines Malers Herz entflammen können, […] strahlte sie aus den Rahmen, allen künftigen Geschlechtern überliefert von der Hand Gert Wollheims, Pankoks, H. B. Hundts, Bindels, Pudlichs und der anderen’ (Heymann, 31/10/1930, n.pn.).“7
Dies hat Bert Gerresheim in seiner Skulptur mittels zahlreicher Leinwände zu ihren Füßen umgesetzt – ebenso wie er sich dankenswerterweise für eine selbstbewusste, kämpferische Johanna Ey entschied.

Denn wie das Autorenteam im Seminar8 zu Frauen im Kunstmarkt bereits richtig feststellte, hat durch die damalige Berichterstattung das eher leidliche Bild von Johanna Ey als mütterlich-sorgend manifestiert. Wahrscheinlich konnten jene Redakteure damals kaum andere, also geschäftstüchtig-maskuline, Attribute für Frau Ey finden, als bspw. Heinrich Wilhelm Keim von der Düsseldorfer Kunstakademie: ‘die in den Kreisen der jüngeren Kunst und der jüngeren Künstler als Pflegemutter bekannte und beliebte “Mutter Ey”’ (Keim, 20/10/1923)– Oder „‘Hier in diesem netten Häuschen wohnt Mutter Ey, wie sie allüberall genannt wird, die Frau mit dem großen Herzen und dem kleinen Geldbeutel. Hier ist der Sammel und Ruhepol der jungen Künstlergeneration; hier hat manch junges Talent, von der Umwelt mißverstanden und geächtet, einen sicheren Port gefunden, und unter der weisen Führung dieser gutherzigen Frau Ey sich bannig durchs Leben schlagen können’ (DT, 02/03/1929, n.pn.).“ (Beide Zitate aus: Michael Hausmann, s. FN 7, Seite 27)
Ich komme später darauf zurück, denn es gab durchaus auch andere Stimmen.
Jedenfalls entstand so „Eys erste Sammlung, die sie 1916 verkaufte, um ein Teil des Erlöses an Hungernde und Verwundete in Zeiten des Krieges zu spenden. Dies brachte sie auf die Idee Kunsthändlerin zu werden.“9 Die Ey´sche Kaffeestube für Kreative existierte bis 1914.
191610, also mitten im Ersten Weltkrieg, eröffnete Johanna Ey eine Kunstgalerie. Sie begann mit Vertretern der Düsseldorfer Malerschule. Schnell entwickelte sich die Galerie zu einem wichtigen Treffpunkt der Künstlergruppe „Junges Rheinland“.


In Düsseldorf wurde 1919 die expressionistische Künstlervereinigung Junges Rheinland gegründet. „Zu den ersten Mitgliedern gehörten Heinrich Nauen, Adolf Uzarski, Arthur Kaufmann sowie die Maler Carlo Mense, Walter Ophey, Werner Heuser und der Architekt Wilhelm Kreis. Später stießen junge, teils traumatisierte und rebellische Kriegsheimkehrer dazu, wie Gert Heinrich Wollheim und Otto Pankok. Mit anderen linksintellektuellen Gruppen im Westen bildete das Junge Rheinland 1928 die Dach-Organisation Rheinische Sezession. Wollheim und Pankok brachten Ey mit dieser neuen Szene in Kontakt. Ein Jahr später eröffnete sie die Galerie „Neue Kunst Frau Ey“ auf dem Hindenburgwall 11 (heute Heinrich-Heine-Allee) und avancierte damit zur professionellen Kunsthändlerin und wurde damit die erste Galeristin Deutschlands.
1921 zeigte „das Ey“ in ihrer Galerie die erste Einzelausstellung des Brühler Malers Max Ernst. Und mit beharrlicher Akquise gelang es ihr, den Dresdner Otto Dix von seiner Heimatstadt nach Düsseldorf zu holen. 1926 präsentiert sie auch Bilder von Paul Klee und Pablo Picasso. Johanna Ey war also jemand in jenen „Goldenen Zwanzigern“, eine regionale Prominente mit Kultstatus; berühmt, gefragt und gefeiert. Ihre Galerie wurde das Zentrum der rheinischen Künstler-Avantgarde.“11
Nebeninformation: Von Gert Heinrich Wollheim (1894 – 1974) ist im Übrigen das „Bild des Monats“ September im Museum Kunst der Verlorenen Generation in Salzburg (Privatsammlung Prof. Dr. Heinz R. Böhme). Wollheim zählte zu den revolutionären Künstler/innen des „Aktivistenbund 1919“, der linksgerichtete Intellektuelle vereinte. Seine Kunstwerke wurden dann 1937 als „entartet“ diffamiert und in der Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ herabgewürdigt. Wollheim war mit Dr. Friedrich Maase befreundet. Das in Salzburg gezeigte Ölgemälde entsteht allerdings erst 1960, nach Maases Tod. Wollheims „Porträt Dr. Friedrich Maase (1878–1959)“ referiert auf Maases Aussagen, welche er, nachdem er im Krieg verschiedene Konzentrationslager überlebte, als Zeuge im NS-Kriegsverbrecherprozess machte: Das Buch in seiner Hand zeigt auf Altgriechisch den Spruch „Ein Freund ist Platon, aber noch mehr Freund ist die Wahrheit.“ Die Wahrheit aus dem Munde des Juristen wird im Prozess zu einem der wichtigsten Werkzeuge zur Überführung der Kriegsverbrecher.

„… als Förderin und Kämpferin für die junge Kunst, findet sie ihre eigentliche Lebensrolle. Emanzipiert und Zigaretten rauchend tritt sie dominant und energisch auf, zugleich auch fürsorglich, sieht genau hin bei dem, was um sie vorgeht, setzt sich unbeirrt für ihre Künstler ein, findet über sie den Zugang zur Kunst, wird zur Freundin, Vertrauten und Händlerin und rückt mit nie dagewesenen Bildern ins Zentrum der rheinischen Künstler-Avantgarde.“12

Michael Hausmann13 erkennt in der Sammlungspublikation und den Sammlungs- und Verkaufs-ausstellungen einen scharfsinnigen Verstand der Johanna Ey, ein Markenbranding als notwendig zu erachten: „Her decision to exhibit many of these portraits as part of the Sammlung Ey Düsseldorf
touring exhibition and include them in its catalogue, and the idea and name of the tour itself, may well have been intended to capitalise on press interest in these works and the status that she had achieved from these reports. This exhibition certainly helped cement her national celebrity status and the Ey ‘brand’ and further emphasises her talent for self-promotion. Her choice of respected art historian Max Osborn to write the introduction to the tour catalogue also suggests she realised the importance of endorsement and the association of her ‘product’ with the ‘right’ people to give her and her collection added gravitas. The exhibitions in various German cities certainly served to heighten her celebrity outside Düsseldorf and prompted articles about her in the regional newspapers of Cologne, Königsberg, Mannheim and Wiesbaden where this exhibition was shown and in other German cities where it was not displayed. According to an article in the Berliner Börsen-Zeitung Ey is also said to have been in ‘Unterhandlungen mit verschiedenen deutschen und ausländischen Städten, um ihre Sammlung, […] in Berlin, Dresden, Hamburg, Hannover, Antwerpen, Amsterdam und Rotterdam zu zeigen’ (Berliner Börsen, 1931: Ey, 1936, p. 69f). However nothing appears to have come of these attempts to promote her collection and ‘brand’
in these German cities and abroad. A review of newspaper reports from this period nevertheless suggests that Ey’s international celebrity remained considerable in Europe and farther afield even without this extended tour. For instance an anonymous author in 1931 writes: ‘Und doch kommen zu ihr [Ey] Museumsdirektoren und Kunstliebhaber vom ganzen Kontinent. Der Name Ey ist bekannt in Amsterdam wie in Paris und London’ (‘Die Düsseldorfer Künstlermutter’, 27/08/1931, n.pn.) and ‘Jan Wellem’ (likely to be a pseudonym) in a report in 1932 notes: ‘da sind Hefte aus Schweden, Moskau, Belgien, Spanien und Amerika, in denen Mutter Ey nicht gefeiert sondern gewürdigt wird, als die Wegbahnerin der modernen Kunst’ (Wellem, 14/11/1932, n.pn.).“
Dies basiert weniger auf ‚mütterlichen‘ Instinkten, sondern begründet die Geschäftstätigkeiten der ersten Galeristin Deutschlands – einer Sammlerin, die sich ihrer Kunstsammlung, mithin der Qualität und Anziehungskraft der gesammelten künstlerischen Positionen, bewusst war.
Text: Jana Noritsch
Quellen:
- vgl. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.frauen-in-der-kunst-von-der-baeckersfrau-zur-galeristin.54213f74-3d24-4fad-b8ce-35cad76325f1.html ↩︎
- siehe https://www.rheinische-art.de/cms/topics/johanna-ey-mutter-der-rheinischen-avantgarde.-eine-regionale-kunstgeschichte.php ↩︎
- https://www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de/objekt/otto-dix-bildnis-der-kunsth%C3%A4ndlerin-johanna-ey-1924.html ↩︎
- Porträt der Kunsthändlerin Johanna Ey von Otto Dix, 1924, Öl auf Leinwand, Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Link zum Bild ↩︎
- https://katalog.ulb.hhu.de/Record/990039810420206443 ↩︎
- vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johanna_Ey ↩︎
- Zitiert nach Dissertation: Hausmann, Michael: Johanna Ey. A critical reappraisal. Phil Diss. University of Birmingham 2010, Fußnote 350, Seite 172 ↩︎
- Der Beitrag von Nils Hausmann, Nina Kaiser-Havertz, Olivia Klewin und Lisa Schwall entstand im Rahmen des Oberseminars „Female-run galleries im 20. Jahrhundert. Reflexionen eines Genderdiskurses im Spiegel der Entwicklung des Kunsthandels und Galerienwesens“ im Sommersemester 2021 am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln, unter Leitung von apl. Prof. Dr. Nadine Oberste-Hetbleck, ZADIK | Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung. ↩︎
- siehe Women in the Art Market https://witam.hypotheses.org/531 ↩︎
- siehe https://www.duesseldorf.de/gleichstellung/archiv/frauenwege/johanna-ey ↩︎
- Zitiert aus https://www.rheinische-art.de/cms/topics/johanna-ey-mutter-der-rheinischen-avantgarde.-eine-regionale-kunstgeschichte.php ↩︎
- vgl. „Großes Ey – Die Lebensgeschichte der Johanna Ey“ von Ute Bales ↩︎
- s. Hausmann, Michael (Diss, Link s. Fußnote 7), Seite 174, mit Referenzen auf: Düsseldorfer Tagesblatt, 04/05/1931; Düsseldorfer Lokal-Zeitung, 04/07/1931, n.pn.; Westdeutsche Woche, 12/07/1931, n.pn. published in Bochum; Kunst-Auktion Berlin, 1931, n.pn.; Berliner Börsen, 1931; Koblenzer General-Anzeiger, 15/07/1931 and ‘Das Ey wird international’, 1931, n.pn. presumably from the Presseamt Düsseldorf ↩︎
