]kino Abstrakter Film: Oskar Fischinger „Musik für die Augen“

Oskar Fischinger Musik für die Augen

Die Übertragung abstrakter und konkreter Kunst in Animationen, Videokunst und Musikvideos – Movement making Movement

In einigen Programmkinos läuft derzeit die Dokumentation zu Werk, Anliegen, Wirken und Leben von Oskar Fischinger von Harald Pulch und Ralf Ott. Am 26. September 2023 war die Premiere im Hamburger Metropolis Kino in Anwesenheit beider Produzenten.
Eine Empfehlung für alle, deren Interesse den Avantgardekünstler:innen gilt, für alle, die sich für Konkrete Kunst oder bewegte Bilder begeistern, und für all diejenigen, die einem bewegten Künstlerleben folgen möchten, um auch kunst-/historische Entwicklungen besser nachvollziehen zu können.
Sehr aufregend! Und ein ganz besonderer Genuss in elf Kapiteln, durch die uns – dank Harald Pulch – die Witwe Elfriede Fischinger (EF) führt.

© Oskar Fischinger, © Harald Pulch „Musik für die Augen“

Das erste Kapitel heißt „Anfänge“ und bringt uns einen Mann nahe, der „zu den statischen Elementen wie Linien auch den Rhythmus brauchte“ (EF) – und wie er gemeinsam mit und unter Vertrag bei Walther Ruttmann eine Maschine entwickelte, die Wachs(farbbilder) wie eine Brotmaschine in Scheiben schneidete. Der Film zeigt im zweiten Kapitel „Kupferblech und Sterne“, wie Fischinger 1927 bei der UFA in Berlin an „Frau im Mond“ von Fritz Lang mitarbeitete und verrät die Tricks, mit denen die Fischingers den Raketenflug für die amerikanische Produktion „Capitain Midnight“ realisiert haben. In „Der Zauberer der Friedrichstraße“ geht es um allerhand meisterhafte Special Effects, für die Fischinger immer wieder angefragt wurde („Das Blaue vom Himmel“ oder der erste Farbfilm in Europa: „Kreise“ (Tolirag Agentur)). Im vierten Kapitel „Tönende Ornamente“ wird die Initialzündung nacherzählt, durch die Fischinger wenig später den ersten bewegten Ton umsetzte, denn „die Form (des Gegenstandes) ist bedeutsam für den Ton. In „Der Wendepunkt“ geht es um den ersten abstrakten Film mit dreidimensionalen Gegenständen: „Komposition in Blau“. 1936/37 erfolgte die Umsiedlung nach „Hollywood“, berichtet das sechste Kapitel; die Fischingers verkauften alles in der Heimat – bis auf Weniges und 42 Kunstwerke, u.a. von Paul Klee, Kirchner, Nolde … Es wurde arrangiert, dass Elfriede Fischinger ihre Ausreise gemeinsam mit Karl Nierendorf1 realisierte. Sicher nahm er sich früher oder später den Werken an: Er unterstütze die Fischingers zuweilen mit Beträgen … Nach einem halben Jahr hatte Oskar Fischinger nicht mehr mit Paramount kooperiert (trotz des Sieben-Jahres-Vertrags), denn sie wollten seinen farbigen „Allegretto“-Film in Schwarz/Weiß. Er hat ihn als „Paragretto“ gemacht, jedoch war es „ein Schritt zurück“ (Zitat EF). Mit MGM gab es unterdessen Absprachen zu „Optical Poem“, das die Rotation thematisierte. So aufwendig! John Cage hat wohl vier Tage mit daran gearbeitet und beschloss dann, dies sei nicht für ihn.

In „Synchron ohne Ton“ schafft es Fischinger vor dem Tonfilm Bild und Ton miteinander zu verknüpfen, und zwar durch akribische Analyse der Musik – und die Kombination selbiger mit jeder einzelnen Bildsequenz. „Experiment in Color-Rhythm“. Nach der Zeit bei Disney („Sklavenarbeit“), nach generell schlechten Zeiten für Deutsche in den Staaten (seit Pearl Harbour bis 1949 dürfte kein Deutscher in irgend einem Studio arbeiten), der Unterstützung von Hillary Bay und Salomon Guggenheim – und dem „Brandenburgischen Konzert No. 3 begleitet von Johann Sebastian Bach“ geht es in den folgenden Kapiteln um die Rückkehr Oskar Fischingers zur Malerei! Toll, sein „Motion Painting No. 1“!

Inter­me­di­a­li­tät – Crossover von Bild und Ton:

Den Industrialisierungsprozessen folgte eine Elektrifizierung auch in anderen Bereichen des Lebens: In den 1920er-Jahren gab es geradezu einen Rausch an neuen Kunst- und Ausdrucksformen, die mit künstlichem Licht arbeiteten. Genres wie Futurismus, Konstruktivismus, Kinetische Farbmusik und das Bauhaus wirkten in die verschiedensten Techniken und Stilrichtungen hinein (Kinetische Werke und Installationen, Konzeptkunst, Materialmalerei, Film, Op Art, Arte Povera).
Sound, expe­ri­men­tel­le Kom­po­si­ti­on, audio­vi­su­el­le Medi­en und Pop­kul­tur wurden im 20. Jahr­hun­dert zu zen­tra­len Refe­ren­zen für die bil­den­de Kunst: „Aus­ge­hend von den fil­mi­schen Klang­vi­sua­li­sie­run­gen der 1920er-Jah­re – der soge­nann­ten Augen­mu­sik – geht die Aus­stel­lung dem Topos der Über­schrei­tung von Gat­tungs­gren­zen in den 1960er-Jah­ren nach und befragt psy­che­de­li­sche Tran­ce­ma­schi­nen eben­so wie mul­ti­me­dia­le Sound­en­vi­ron­ments nach ihrem gesell­schafts­po­li­ti­schen Poten­zi­al. Der Illu­si­on eines „natür­li­chen” Zusam­men­spiels von Bild und Ton etwa im Hol­ly­wood-Kino tre­ten schließ­lich Arbei­ten ent­ge­gen, die die Dis­kre­pan­zen die­ser ver­meint­li­chen Syn­the­se offen­le­gen, bis hin zum Ver­lust von Ton und Sprachmäch­tig­keit.“2

Das Lentos in Linz fasste es 2010 so zusammen: „Zu Beginn der 1930er Jahre verfolgte Oskar Fischinger zeitgenössische Forschungen zu Zusammenhängen zwischen visuellen und akustischen Phänomenen und der Verwendung synthetischer Klänge in elektronischen Musikinstrumenten. Fischinger bemerkte, dass die Muster, die durch die Tonaufzeichnung auf der optischen Tonspur eines Filmstreifens entstanden, abstrakten Formen ähnelten, und begann, sie zu analysieren. Im Jahr 1931 begann er, gemalte Formen direkt auf die Filmmusik zu belichten und die so erzeugten synthetischen Wellenformen mithilfe der Fotozelle des Projektors in Klang umwandeln zu lassen.“3

Prof. emer. Harald Pulch (re.) und Ralf Ott (Acht Frankfurt) bei der Premiere im Hamburger Metropolis Kino

Movement making Movement:

Die „Künstler arbeiteten mit Projektionen von abstrakten Bildern, in denen Ton und Farbe zu einem synästhetischen Erlebnis gekoppelt wurden, das meist in einen Zustand spiritueller Transzendenz führen sollte. Der Schlüssel zur Erlangung dieser Transzendenz lag in der Wirkung der Schwingungen von Licht und Ton auf den Körper.“4 

Nicht nur den Diskurs zu neuen Termini wie „Neokonzeptualismus“, „Logo-Kultur“ oder „Neofunktionalismus: Leuchten“ wurde 2006 in der ZKM-Ausstellung eröffnet, sondern ein umfassend angelegter Überblick zu den künstlerischen Positionen gegeben: Im Feld der Pioniere der Künstler, die zuerst „die Formsprache der konkreten Malerei in bewegte Bilder übersetzten“, wurden hier neben Filmen von Oskar Fischinger (1900-1967) auch „Ein Lichtspiel schwarz-weiß-grau“ (1932) sowie eine Doku zu „Licht-Raum-Modulator“ (1922-30, rekonstruiert 1970) von Lazlo Moholy-Nagy (1885-1946) gezeigt und Arbeiten von Hans Richter (1888-1976), Viking Eggeling (1880-1925), „Ambiente spaziale a luce nera“ (1948-49, rekonstruiert 1976) von Lucio Fontana (1899-1968) und von Zdenek Pesanek (1896-1965) unter anderem die mutmaßlich erste Skulptur mit offen sichtbarer Neonröhre: „Modell einer lichtkinetischen Skulptur“ (1936). Des Weiteren „Arbeiten der Gruppen „Zero“, „Gruppo T“, Gruppo N“ und GRAV, Originale und Rekonstruktionen, die für die Schau am ZKM in enger Zusammenarbeit mit den noch lebenden Künstlern entstanden. In diesen Rekonstruktionen liegt eine der hervorragenden Qualitäten der Ausstellung, denn durch sie sind Werke teilweise zum ersten mal [sic!] seit 40 Jahren wieder öffentlich sichtbar, wie Heinz Macks Installation „Zwischen Himmel und Erde“ (1966, rekonstruiert 2005).“5

In der obigen Auflistung des Autors Thomas W. Kuhn fehlt leider Walther Ruttmann6, obgleich das ZKM ihn hervorhebt7 – und der eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Oskar Fischinger darstellte. Wer sich das wunderbare Lichtspiel Opus von Ruttmann auf Youtube ansehen möchte, schaue hier. [Vertiefend zum Werk von Ruttmann siehe https://lightcone.org/en/filmmaker-277-walter-ruttmann] Fischinger entwickelte jedoch die Technik, direkt auf das Filmmaterial zu gehen und hier unmittelbar abstrakte Formen (Kreise, Quadrate, Blöcke) und Stich-Linien-Gefüge zu gestalten, die wie zur Musik tanzten. Dann startete 1946 (!) Frank Stauffacher, selbst Filmemacher, „inmitten kulturellen Brachlands, im San Francisco Museum of Modern Art sein einflussreiches Festival Art in Cinema, in dessen Rahmen er nicht nur die Avantgardeklassiker der 1920er-Jahre zeigt, sondern auch die Visionäre der experimentellen Animation, unter ihnen Oskar Fischinger, Jordan Belson und Harry Smith, feiert. Art in Cinema wird zur Institution. Mitte der 1950er-Jahre ist San Francisco, auch durch die Existenz der lokalen Kunsthochschule, an der Peterson und Broughton lehren und filmen, eine Hochburg des avantgardistischen Kinos.“8

Konkrete Kunst in bewegten Bildern

Folgen wir der Definition des MKK zur Konkreten Kunst, ist diese „eine unmittelbare, auf sinnliches Erleben angelegte Kunstrichtung, die auch ohne jedes Vorwissen, aber notwendigerweise auch ohne Vorurteile, erfassbar ist. Es ist eine ungegenständliche Kunst in Malerei, Plastik, Film oder Installationen, die nicht die sichtbare Welt abbilden möchte. Daher kommen den Farben, Formen, der Linie und erweitert auch den Materialien eine besondere Bedeutung zu.“9
Dem wird Harald Pulch in seiner Dokumentation absolut gerecht. Und möglicherweise ist die Ästhetik der Augenmusik von Oskar Fischinger außergewöhnlich für instagram-swippende Daumenbesitzer:innen. Allerdings wird die Entstehung des bewegten Bildes und des bewegten Tons auf ganz wunderbare Weise erklärt. So ist der Film – trotz des rd. hundert Jahre alten Stoffs – weder staubig noch ungelenk, im Gegenteil!

Es ist schade, dass dieser geborgene Schatz, die Interviews mit Elfriede Fischinger im Film, nicht häufiger und in vielen Kinos mehr ausgespielt wird! Und/ Oder an öffentlichen Orten aller Couleur gezeigt wird: Warum nicht auch in Shopping Malls, Bars, Hauptbahnhöfen … (Das habe ich ebenso bereits dringend hinsichtlich der Arbeiten von Julian Rosefeldt („Euphoria“) gesagt!)
…Auf die Frage, warum die Videokunst auch in einem Musikclub gezeigt werden kann, antwortete Klaus vom Bruch 1999 im Kunstforum international: „Die Loops wirken sich im Club ja körperlich aus. Es ist so eine orgiastische oder bacchiantische Situation, die aber mit sehr kalten, technischen Mitteln hergestellt wurde. Das steht natürlich auch in der Tradition des Experimentalfilms. Bei Leuten wie Oskar Fischinger oder Viktor Eggeling gibt es das ja auch: die Wende gegen eine narrative Erzählpraxis, und eine Beschäftigung mit Licht, mit Form, Farbe und Rhythmus. Der Genuss bei der Videokunst hängt vom eigenen Perversionsgrad ab. Wie kann ich mich auf etwas einstellen, was mir so fremd ist, mich aber trotzdem in einen Zustand überführt, den ich nachher als großes Erlebnis empfinde? Darum ist es auch egal, ob es im Museum oder in einer Galerie passiert oder zum Beispiel zuhause, wenn die Platte auf dem Plattenspieler hängen bleibt.“10

Text: Jana Noritsch (Collectors Club c/o Bureau verso)

Quellen:

  1. Zur Biografie Karl Nierendorfs: https://www.galerie20.smb.museum/kunsthandel/K49.html ↩︎
  2. In: „See This Sound, Promises in Sound and Vision“, hrsg. vom Lentos Kunstmuseum Linz, 2009, zur Ausstellung 2010: https://www.lentos.at/ausstellungen/see-this-sound ↩︎
  3. ebd. ↩︎
  4. In Kunstforum international: „»Ich hab meine eigene kleine Ficker-Essenz und diese Essenz heißt geistige Erkenntnis.«1 Die Beat Generation und ihr Einfluss auf die Kunst“ von Oliver Zybok (Band 239, 2016) ↩︎
  5. Vgl. Thomas W. Kuhn: „Lichtkunst aus Kunstlicht“ (Bd. 179 „Zur Aktualität des Idyllischen“ 2006) zur Ausstellung »Enzyklopädische Energie entfaltet« im Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM Museum für Neue Kunst. MNK 19.11.2005 – 1.5.2006 https://www.kunstforum.de/artikel/lichtkunst-aus-kunstlicht/ ↩︎
  6. „Walter Ruttmann (28. Dezember 1887 – 15. Juli 1941) war ein deutscher Kameramann und Filmregisseur, neben Hans Richter, Viking Eggeling und Oskar Fischinger ein bedeutender deutscher abstrakter Experimentalfilmer. Bekannt wurde er vor allem durch die Regie des halbdokumentarischen Stummfilms „Stadtsymphonie“ mit Orchestermusik von Edmund Meisel aus dem Jahr 1927, Berlin: Symphonie einer Metropole. Seine Audiomontage „Wochenende“ (1930) gilt als wesentlicher Beitrag zur Entwicklung des Hörspiels.“ s. MoMA https://www.moma.org/artists/7123 resp. Wikidata Q77365 ↩︎
  7. s. https://zkm.de/en/exhibition/2005/11/light-art-from-artificial-light ↩︎
  8. In: Kunstforum international „OUTSIDE IN – WIE SICH KALIFORNIENS EXPERIMENTELLES KINO SEIT JE AN HOLLYWOOD GEBUNDEN SIEHT“ von Stefan Grissemann (Band 238, 2016) ↩︎
  9. siehe Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt https://www.mkk-ingolstadt.de/ueber-uns/was-ist-konkrete-kunst/ ↩︎
  10. vgl. Kunstforum international (Bd. 148 „Ressource Aufmerksamkeit“ 1999): Ein Gespräch zwischen Klaus vom Bruch und Daniel Pflumm von Tilman Baumgärtel
    https://www.kunstforum.de/artikel/besseres-fernsehen-schone-momente/ ↩︎

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