


Engraved: A HOLE / GO TO THE OTHER SIDE OF THE GLASS AND SEE THROUGH THE HOLE.
YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND aus der TATE Modern London1 ist nun in Düsseldorf zu sehen: Mit ihren Instruktionen, Installationen, Filmen, Musik und Fotografien (über 200 Werke) lässt uns Ono im K20 den Wind der früheren Friedensbewegung spüren und erinnert an teils erfolgreiche Kunstaktionen. Yoko Ono ist schon seit den Sechzigern eine Kulturikone. Die Künstlerin (beginnend mit Fluxus und Performance), Aktivistin, Poetin, Installations-, Sound-, Video- und Konzeptkünstlerin, Sängerin, Songwriterin und Musikproduzentin hat mittlerweile 91 Lebensjahre auf dieser Welt verbracht. Und obgleich ihre Arbeiten immer friedfertig sind, frage ich mich, ob sie nicht auch mal fassungslos ist. Bei näherer Beschäftigung wird mir klar, dass ich wütend bin über die Tatsache, dass immer wieder neue Kriege entflammen und vielerorts Menschenrechte verletzt werden. Möglicherweise sucht mein kritischer Blick vehement nach Lösungen und Erfolgen bei Ono, angesichts der Ereignisse am 2. Oktober und vom gestrigen 7. Oktober und jeden Tag eigentlich …
Während beispielsweise das 2009 entstandene Werk „A HOLE” (Abb. oben) beide Seiten eines Verbrechens vorstellbar macht, indem die Besucher:innen das Durchschussloch aus der Tätersicht oder, sofern sie hinter die andere Seite der Glasscheibe treten, aus der Opferperspektive betrachten können (Gänsehaut!), ist die einzige Hoffnung in der Arbeit „ADD COLOUR (REFUGEE BOAT)“, dass so viele Menschen (Museumsbesucher:innen) wie möglich sowohl Wand als auch Boot vollständig mit Blau bemalen. Blau wie das Meer, in dem täglich flüchtende Menschen ertrinken oder an den EU-Außengrenzen scheitern:

Die TATE schreibt2: […] Ono konzipierte das Werk, nachdem sie von der internationalen Presseberichterstattung über die Hunderttausende von Flüchtlingen, die ihr Leben riskieren, um auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen, bewegt wurde. Diese partizipatorische Arbeit lädt Sie dazu ein, über diese dringende und anhaltende Flüchtlingskrise nachzudenken. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen prognostiziert, dass im Jahr 2024 die Zahl der weltweit gewaltsam vertriebenen und staatenlosen Menschen auf mehr als 130 Millionen ansteigen wird. Mit Add Colour (Refugee Boat) lädt Ono uns dazu ein, über die Auswirkungen, die kollektives Handeln haben kann, nachzudenken. Das Werk verdeutlicht ihren Glauben an die menschliche Handlungsfähigkeit und ihr Verständnis, dass „wir diese Welt“ und unsere Verantwortung für sie teilen.
Well, auch die Abschottung der EU-Grenzen und Kooperationen wie mit Frontex basieren auf kollektivem Handeln. Die Frage ist doch immer, wer welche Macht will, hat und wofür die dann eingesetzt wird.
Schauen wir uns die neu aufgelegte Edition von i ii iii Stamp & EVERYTHING IN THE UNIVERSE is UNFINISHED3 an, lesen wir zu Yoko Onos Zeichnung mit Schädeln (die mich an ganz andere asiatische Kriegs-Trauma-Zeichnungen erinnern): INVISIBLE PEOPLE / UNSICHTBARE MENSCHEN
Suchen Sie durch die Teleskope nach den Menschen, die in kleinen Booten ankommen und Zuflucht vor weit entfernten Kriegen suchen. / Man hört ein Horn, das Klopfen des Wassers gegen die Boote und in der Ferne schreiende Menschen. / Ein wunderschönes Geräusch wurde von allen Winden des Universums erzeugt. / Doch mit bloßem Auge oder durch die Teleskope ist kein Schatten eines Bootes zu erkennen.4
Klingt säuselnd-verbittert, ja resigniert oder vorwurfsvoll, wenn wir dem entnehmen, dass wir alle wegschauen. (Endlich, möchte ich fast hinzufügen.)

Ich weiß nicht, wie viel Wut, Furcht und Kummer den Werken von Yoko Ono jeweils zugrunde lagen (andere sprechen von ihrem Humor), aber allein die unten abgebildete Botschaft „WAR IS OVER! if you want it“ ist so ikonografisch geworden, dass sie im Dezember 2020 vom ONE Institute für das Ausstellungsplakat zu „It’s Not Over: Posters and Graphics From Early AIDS Activism” adaptiert wurde:

Zeitungswerbung.
„Durch die Einbeziehung von Grafiken mit Botschaften wie „HIV-Diskriminierung tötet“ erinnert „It’s Not Over“ an frühere Zeiten der Organisation und des Widerstands, die uns auch in der Gegenwart motivieren. Im Stil der Protestkunstbotschaft von Yoko Ono und John Lennon „Der Krieg ist vorbei! (Wenn du es willst)“ verbreitet diese öffentliche Kunstausstellung eine wichtige Erinnerung daran, dass die HIV/AIDS-Epidemie nicht vorbei ist.“5
Yoko Ono und John Lennon verbreiteten ihre Botschaft 1969 weltweit in zwölf Städten auf kommerziellen Werbeflächen, Plakaten, Postkarten sowie mittels Radio- und Zeitungswerbung.
… But, war is not over: Selbst wenn es einzelne wollen, reicht es nicht gegen die Mächtigen, die es eben nicht wollen.
Ono kann zu Recht als Friedensaktivistin benannt werden; noch im Jahr 2002 etablierte sie den LennonOno-Friedenspreis6, der zumindest bis 2018 an Künstler:innen unterschiedlicher Sparten ging.
Yoko Onos Instruktionen wurden nicht nur oft ausgestellt, sondern sind in „Grapefruit“ nachzulesen7. Grapefruit ist ein Künstlerbuch von Ono, das ursprünglich 1964 in ihrem eigenen Verlag, Wunternaum Press Tokio, veröffentlicht wurde (500er-Auflage). Es ist als frühes Beispiel konzeptueller Kunst berühmt geworden und enthält eine Reihe von „Event-Partituren (Event Scores)“ und andere Formen partizipatorischer Kunst8, die das physische Kunstwerk durch Anweisungen ersetzen, die ein Einzelner ausführen kann, aber nicht muss.
Zurück ins K20: Wer Yoko Onos Instruktionen bereits kennt oder auch ihr „Cut Piece“ von 1964, findet umso mehr Gelegenheit für weniger populäre Werke.
Siebzig Jahre Schaffenskraft katapultieren uns in vergangene Zeiten voller Umbrüche und Kriege ebenso wie sie von ganz persönlichen Erlebnissen (u.a. Fehlgeburt, Ermordung ihres Mannes John Lennon) und Beobachtungen, vor allem aus feministischer Sicht („Cut Piece“), erzählen. Während Kunst in den Sechzigern häufig radikal im Sinne von laut oder derbe war, schaffte es Yoko Ono nicht nur, auf ganz (radikal-)friedliche Weise ihre Arbeit Friedensbestrebungen zu widmen, sondern führt uns – bis heute gültig – menschliche Eigenschaften und (psychologische) Handlungsmuster vor Augen. Durch ihre Anleitungen, selbst aktiv zu werden, braucht Yoko Ono keine Vorwürfe und Anklagen: Sie versucht, Brücken im Verständnis für einander zu bauen, lässt uns auf neue Art nicht nur uns selbst („Fly“), sondern auch unseren Mitmenschen begegnen („PAINTING TO SHAKE HANDS (painting for cowards)“), sie fordert das Sich-Begegnen („BAG Piece“) und sanft die Liebe („SHADOW PIECE“), bewirkt Seufzen, Gänsehaut, zuweilen Lächeln und immer wieder Hoffnung …
Die Ausstellung im K20 ist recht voll an Werken, was sicher an den unterschiedlichen Räumen in London und Düsseldorf liegt, aber alle Arbeiten haben genug Luft. Abgesehen davon braucht es kuratorisch nicht mehr viel, sofern die Werkauswahl und -anordnung einmal steht, um einem Publikum von Jung und Alt die Ono-Beiträge aus früheren Jahrzehnten ins Heute zu vermitteln, wie es bei der Mike-Kelley-Ausstellung im K21 bspw. nötig gewesen wäre9. Möglicherweise assoziieren junge Besucher:innen Fälle wie das Verbot von Onos FILM NO. 4 („BOTTOMS“/„HINTERN“) durch die britische Filmzensurbehörde 1967, tatsächlich mit den heutigen Regulierungen auf Social Media (Meta). Nachdem die Behörde Vorführungen des Films untersagte, da er ihrer Ansicht nach „für die öffentliche Aufführung nicht geeignet“ sei, organisierte Yoko Ono vor der Behörde einen friedlichen Protest (Abb. unten). Sie verschenkte Narzissen und hielt Film-Stills hoch, auf denen die Frage steht: „Was ist an diesem Bild schlimm?“ Gegenüber den Journalist:innen erklärt Ono: ,,Im Grunde geht es in dem Film um Frieden. Er ist ziemlich harmlos. Er ist überhaupt nicht schmutzig oder pervers. Es gibt darin weder Mord noch Gewalt.“ Letztlich wurde der Film ab 18 Jahren freigegeben und in ausgewählten Kinos gezeigt. Bleibt noch die Frage offen, wie es gelingt, beispielsweise Gemälde, die weibliche Brüste zeigen, auf Social-Media-Plattformen betrachten zu dürfen.


YOKO ONO: Der Hammer aus Glas. Wer ihn zur Anwendung führt, wird ihn zerstören, ein Gleichnis gegen Gewalt
Ehen voller (Klang-)Resonanzen: Yoko Ono war immer mit Künstlern verheiratet, von 1956 bis 1963 mit dem japanischen Komponisten Toshi Ichiyanagi, 1964 bis 1969 mit dem Filmproduzenten Anthony Cox, seit dem 20. März 1969 dann mit John Lennon, der am 8. Dezember 1980 bei einem Attentat getötet wurde.
1962 schlossen sich Yoko Ono und ihr damaliger Ehemann Toshi Ichiyanagi der Japan-Tournee von John Cage und David Tudor an. In der „Aria and Solo for Piano with Fontana Mix“ (Arie und Solo für Klavier mit Fontana-Mix) übernahm Ono den Gesangspart in den Kompositionen von Cage. Das Stück „0’00“ wurde Ono und Ichiyanagi gewidmet, wobei Cage folgende Handlungsanweisung für die Aufführung der Komposition „0’00“ formulierte: „Führe mit einer für die Situation maximalen Verstärkung (keine Rückkopplung) eine disziplinierte Aktion auf.“ – Fluxus! – Cages Schreibgeräusche wurden mittels Kontaktmikrofonen verstärkt und wirkten verstörend („John Cage Schock“). Ob Ono hier zuerst mit dem Mittel der „Instruktionen“ in Berührung kam, ist mir nicht bekannt, jedoch auch die Erzeugung von Klang und Geräuschen begleitete sie viele Jahrzehnte. In den sechziger und siebziger Jahren experimentierte sie (mit Lennon) mit Tönen und mit ungewohnten, seltsamen und unkonventionellen Geräuschen: (Geburts-)Schreie und Tiergeräusche beispielsweise. Ebenfalls in der Ausstellung MUSIC OF THE MIND ist der sehenswerte Film „Fly“ von 1971 zu sehen, bei dem Ono den nervigen Ton einer Fliege imitierte, die aggressiv herumsummt und immer wieder auf einem weiblichen Körper landet.

Nicht alles, was die 1933 in Tokio geborene Künstlerin machte, war tiefgründig oder kann uns heute noch etwas mitgeben: 1964 verkaufte Ono in Tokio Scherben zerbrochener Milchflaschen (Abb. oben). Sie sind alle mit einem Datum und einer Uhrzeit versehen, die für einen zukünftigen Morgen stehen. Die entsprechende Performance ist im Film „Some Young People“ (Einige junge Leute) zu sehen. Im Jahr darauf verkaufte Ono auf dem Dach ihres New Yorker Apartmenthauses vom Meer abgeschliffene Glasscherben, die ebenfalls mit Daten zukünftiger Morgen etikettiert sind. Im Film sagte sie: „Es ist ein unnützer Akt. Aber indem ich mit so einem unnützen Akt dem Alltag in die Speichen greife, kann ich die Kultur vielleicht bremsen.“ Auf jeden Fall transportiert sich ihr Glauben an zukünftige Morgen bzw. Tage …

Eine Mischung aus audiovisueller Installation, Skulptur und Handlungsanweisung ist Onos Arbeit „Soundtape of Snow Falling at Dawn“ (Tonaufnahme von fallendem Schnee bei Tagesanbruch) aus dem Jahr 1963, erstmals 1965 realisiert: Tonband, Acetatspule, Tusche auf Pappschachtel – die poetische Handlungsanweisung ist 1964 ebenfalls in Grapefruit als „Tape Piece III – Snow Piece“ veröffentlicht worden, und fordert dazu auf, Schneefall auf Tonband aufzunehmen. Abgespielt werden kann der Sound in jeder Gewindigkeit, „any speed“.

„Half-A-Room“ besteht aus Möbeln und Haushaltsobjekten, wie einem Bücherregal und einem Stöckelschuh, die alle halbiert und überwiegend weiß angemalt sind. Ono zeigt dieses Werk 1967 bei ihrer Ausstellung „Half-A-Wind Show“ in der Londoner Lisson Gallery. Auf der Seite des MOMA erklärt Ono ihren konzeptionellen Gedanken: https://www.moma.org/audio/playlist/15/381 Rückblickend meint sie: „Moleküle sind immer kurz davor, halb zu verschwinden und halb zu entstehen… Jemand sagte, ich solle auch einen halben Menschen ausstellen. Aber wir sind ja ohnehin schon Hälften.“

Wir können nur in der Partnerschaft und in Gemeinschaft ein Ganzes sein. Nur, der Wille allein – if you want it – muss immer an Macht gekoppelt sein. Somit braucht es in der Zeitgenossenschaft wieder mehr künstlerische Rebellion? Sicher, zumal in Zeiten der wiederkehrenden, rasch um sich greifenden Zäsur!
Zu guter Letzt sei an Onos Aktion von 2017 erinnert:
free you
free me
free us
free them
Erschienen am 3. Mai 2017 auf den Titelseiten vieler deutschsprachiger Zeitungen in Form eines handschriftlichen Beitrags von ihr angesichts internationaler Probleme mit der Pressefreiheit (übersetzt: „befreie dich – befreie mich – befreie uns – befreie sie“).
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. März 2025 zu sehen im
Museum K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Haltestelle:
Heinrich-Heine-Allee
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag, Feiertag
11 – 18 Uhr
https://www.kunstsammlung.de/de/exhibitions/yoko-ono
Text: Jana Noritsch
- Begleitheft zur Ausstellung https://www.tate.org.uk/documents/1911/TM_EXH_0091_Yoko_Ono_LPG_Web_v6.pdf ↩︎
- ebd., S. 137 ↩︎
- Gefunden auf https://jrp-editions.com/art/multiples/limited-edition-books/yoko-ono-everything-in-the-universe-is-unfinished-and-i-ii-iii-stamp-limited-edition-book-with-print/ ↩︎
- Credit: Yoko Ono (Originaltext auf jrp editions https://jrp-editions.com/art/multiples/limited-edition-books/yoko-ono-everything-in-the-universe-is-unfinished-and-i-ii-iii-stamp-limited-edition-book-with-print/) ↩︎
- Zitat von https://www.oneinstitute.org/press-release-exhibition-its-not-over-posters-and-graphics-from-early-aids-activism/ ↩︎
- LennonOno Grant for Peace oder auch LENONO Grant for Peace, siehe Onos Internetseite https://www.imaginepeace.com/archives/1759 ↩︎
- Beispiele daraus liest Yoko Ono in diesem Video (und anderen) auf Youtube ↩︎
- Dazu: Sallabedra, M. (2012) Like an elephant’s tail: Process and instruction in the work of Michael Rakowitz, Rirkrit Tiravanija and Yoko Ono (7) (9-20), ProQuest Dissertations & Theses Global ↩︎
- siehe hierzu die Ausstellungskritik von Jennifer Braun am 25.8.2024 The Gen Z Art Critic „Mike Kelley at K21: A Lobotomy“ (auf substack) ↩︎
