Zur »nötigen Entfesselung der Kunst«: Endlich eröffnet die Baumeister-Ausstellung in Chemnitz

Hannelore Paflik-Huber und Hans Dieter Huber haben die Ausstellung »Das Kreative geht dem Unbekannten kühn entgegen.« Willi Baumeister und sein Netzwerk., kuratiert, die ab 12. November 2023 im Museum Gunzenhauser in Chemnitz zu sehen ist

Im Museum Gunzenhauser eröffnet eine hochkarätige Ausstellung zu, mit und um Willi Baumeister, die bis zum 4. Februar 2024 laufen wird. Die Ausstellung spiegelt nicht nur das gesamte Spektrum des künstlerischen Schaffens von Willi Baumeister (1889–1955) wider, sondern macht darüber hinaus Teile seines Umfeldes sichtbar.

Die Kurator:innen der Ausstellung, Hannelore Paflik-Huber und Hans Dieter Huber, mit der Direktorin des Museum Gunzenhauser Anja Richter vor „Willi Baumeister, Monturi mit Rot und Blau I, 1953, Tempera, Sand auf Hartfaserplatte, Staatsgalerie Stuttgart“, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser

Alfred Gunzenhauser, 1955 noch Student, freundete sich im selben Jahr mit Willi Baumeister an – und erwarb direkt von ihm sein zweites Werk der langsam wachsenden eigenen Kunstsammlung. Auch begleitete Gunzenhauser Baumeister nach Paris zur Ausstellung über die abstrakte deutsche Nachkriegsmoderne: „Peintures et sculptures non figuratives en Allemagne d’aujord’hui“.1 Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz besitzt nach der Staatsgalerie Stuttgart und zusammen mit der Sammlung Domnick in Nürtingen den drittgrößten, öffentlichen Sammlungsbestand an Gemälden von Willi Baumeister in Deutschland (39). Dieser bisher nie in Gänze gezeigte Bestand der Sammlung im Museum Gunzenhauser in Chemnitz bietet einen idealen Ausgangspunkt für eine groß angelegte Willi-Baumeister-Ausstellung, die diesem Ausnahmekünstler und all seinen Werkphasen und Medien, seinen kunsttheoretischen und künstlerischen Haltungen gewidmet ist.

Baumeister »befreite 1929 seine Linie von der Aufgabe, etwas schon Bestimmtes in einem ebenfalls schon vorbestimmten Verlauf zu umreißen«2. Das war bei früheren MALER- und SPORTBILDERN anders als nun bei den neueren. Solche Entwicklungen des Künstlers macht die Ausstellung durch das kuratorische Zusammenspiel seiner Werke mit den Arbeiten bzw. Dokumenten von Kunstschaffenden in seinem Umfeld nachvollziehbar. Denn: Vermutlich ist die weitere Reduktion thematischer Darstellungen bei Baumeister nicht nur eine Art künstlerische Konsequenz, zu der er gelangen musste, sondern haben die äußeren Umstände3 als Verstärker gewirkt, wenn er 1937/384 „begann, das »Unbekannte« aufzusuchen, um »die ständig nötige Entfesselung der Kunst und des Lebens« zu schaffen.“5

Baumeister hat seinen Vortrag »Das Kreative geht dem Unbekannten kühn entgegen« 1950 vor Studierenden der Werkkunstschule Kassel gehalten. Sicher ist der Text heute wieder inspirierend und lesenswert – auch hinsichtlich einiger Impulse für die Kunstschaffenden in der heutigen Zeit, wenngleich nicht mehr das Gegenständlich mit der Abstraktion ringt, sondern KI-gestützte Kunst mit der ‚analogen‘?


Sein ganzes Leben lang war Willi Baumeister ein ausgezeichneter Netzwerker, der bereits sehr früh in seiner künstlerischen Laufbahn wichtige internationale Kontakte knüpfte, die sich alle Zeiten hindurch gegenseitig als fruchtbar erwiesen. Idee und Kuration der – genau dies thematisierenden – Schau stammen von Hannelore Paflik-Huber und Hans Dieter Huber. Beide haben selbst intensive Beziehungen nach Stuttgart. Sie haben der Ausstellung nicht nur einen klasse Titel, sondern auch den Untertitel: „Willi Baumeister und sein Netzwerk“ gegeben: Das Umfeld von Willi Baumeister ist ihnen wichtig und sicher kannte er über mehrere hundert Künstlerinnen und Künstler, allein durch seine Lehrtätigkeit!


Vielleicht wird im Katalog deutlich, nach welchen Kriterien hier die Auswahl eingekreist wurde und sich für Max Ackermann, Gerhard Altenbourg, Hans Arp, Hanna Bekker, Ella Bergmann-Michel, Karl Bohrmann, Peter Brüning, Carlfriedrich Claus, Le Corbusier, Lily Hildebrandt, Adolf Hölzel, Marta Hoeppfner, Johannes Itten, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Ida Kerkovius, Franz Krause, Fernand Léger, Charlotte Mayer-Posenenske, Kasimir Malewitsch, László Moholy-Nagy, Otto Meyer-Amden, Robert Michel, Gonn Mosny, Margarete Oehm-Baumeister, Amédée Ozenfant, Oskar Schlemmer, Kurt Schwitters, Hermann Stenner und Ludwig Wilding entschieden wurde. Neben weiteren Leihgaben aus Museen sollten vor allem bisher wenig gezeigte Werke aus Künstler:innennachlässen gezeigt werden. Zusätzlich beleuchtet eine breit angelegte Auswahl an Filme, Briefe, Postkarten und Fotografien Baumeister als kulturpolitischen Kosmopoliten, Verfechter der abstrakten Kunst und außergewöhnlichen Hochschullehrer.

Mit Spannung sehe ich der Ausstellungseröffnung entgegen: 1943 verliert Baumeister seinen engsten Freund (seit 1912) Oskar Schlemmer. Was wird in der Ausstellung von Oskar Schlemmer zu sehen sein? Und welche Verbindungen Baumeisters zur Architektur – Le Corbusier – werden sichtbar? Oder auch: Hatten für Baumeister Künstlerinnen einen gleichwertigen Stellenwert wie die männlichen Kollegen? Außerdem binden die Kurator:innen die DDR-Rezeption ein, zumindest anhand der Kunstsammlung von Carlfriedrich Claus, dessen Bibliothek und Schriften aufzeigen, dass Willi Baumeister durchaus auch in der DDR reflektiert wurde – und zwar sehr begeistert. Allein dieser höchst interessante Aspekt wäre wahrscheinlich bereits eine eigene Ausstellung wert!


Lange Zeit war es nicht üblich6, genreüberschreitende Werke aus einem künstlerischen Oeuvre in einer Kunstausstellung zu zeigen, um bspw. die Schublade Malerei nicht mit Gebrauchskunst ‚zu verwässern‘. Endlich scheint nun jedoch klar zu sein, dass Künstler:innen für verschiedene Sujets durchaus ganz unterschiedliche Materialien und Techniken nutzen. Zudem wurde ab den 1920ern, unterstützt durch die Bauhaus-Schulen, Kunst und Handwerk in der Ausbildung häufig gekoppelt, um sich einen späteren Broterwerb zu sichern. Baumeister wurde 1927 an die Frankfurter Kunstgewerbeschule berufen. Die Bezeichnung „Werkkunst“ (Hans Schwippert) verknüpft gezielt Kunst, Handwerk und Industrie7.8
Freuen wir uns also auf die Schals und Baumeisters bauchige Vase!

Und was bedeutet eigentlich „Taru-Turi“ (Werktitel von 1954)? Diese und Ihre weiteren Fragen beantworten die Kurator:innen-Führungen und wird übrigens auch Teil des Schulprogramms
Baumeister entdecken: Was steckt hinter Taru-Turi? sein: Informationen unter kunstbus@stadt-chemnitz.de oder +49 (0)371 488 4427.

Ausstellung
»Das Kreative geht dem Unbekannten kühn entgegen.«
Willi Baumeister und sein Netzwerk

Museum Gunzenhauser
Stollberger Straße 2
09112 Chemnitz
T +49 (0)371 488 7024
gunzenhauser@stadt-chemnitz.de
kunstsammlungen-chemnitz.de

Eröffnung
Samstag, 11. November 2023, um 18 Uhr
Öffnungszeiten
Di, Do–So: 11–18 Uhr, Mi: 14–21 Uhr
Führungen
info.kunstsammlungen@stadt-chemnitz.de

Fotos: Werke © Künstler / the artists; Porträtfoto der Ausstellungskuratoren Dr. Hannelore Paflik-Huber und Prof. Dr. Hans Dieter Huber vor dem Gemälde : ©
Text / Interviewfragen: Jana Noritsch

  1. Vgl. Stephan Dahme: „Alfred Gunzenhauser – Galerist, Sammler, Stifter“, Edition Fichter 2023, S. 47 ↩︎
  2. Georg-W. Költzsch „Positionen Malerei aus der Bundesrepublik Deutschland“ 1986/87, S. 46 ↩︎
  3. „Am 31. März 1933 entließ die neu gebildete nationalsozialistische Regierung Willi Baumeister als Professor für Gebrauchsgrafik an der Frankfurter Kunstgewerbeschule (heute Städelschule). […] Die 1937 in München gezeigte Ausstellung Entartete Kunst umfasste auch vier Gemälde und eine Lithografie Baumeisters.“, s. Peter Chametzky in: „Kunst für Keinen: 1933–1945“, Hirmer Verlag 2022, S. 60 ↩︎
  4. ebd.: „Gemeinsam mit Oskar Schlemmer (1888- 1943), Franz Krause (1897-1979), Georg Muche (1895-1987) sowie Hans Hildebrandt (1878- 1957) und seine Frau, die Künstlerin Lily, geborene Uhlmann (1887- 1974) betrieb Baumeister von 1937 bis zur Bombardierung von Kurt Herberts‘ (1901-1989) Wuppertaler Lackfabrik in dem dort von Rasch eingerichteten Labor Experimente zur Geschichte der Maltechniken. […] Die sich aus der Arbeit im Maltechnikum herleitenden Experimente mit der Abstraktion können als Vorwegnahme der informellen Kunst der Nachkriegszeit oder auch von Andy Warhols Oxidationsbildern gelten. […] und bildete die Grundlage für seine theoretische Schrift Das Unbekannte in der Kunst. Sie wurde größtenteils 1943/44 verfasst und erstmals 1947 im Deutschland der Nachkriegszeit als eine der wichtigsten frühen Erläuterungen der von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichneten Kunst der Moderne veröffentlicht.“ ↩︎
  5. Georg-W. Költzsch „Positionen Malerei aus der Bundesrepublik Deutschland“ 1986/87, S. 46, Zuvor: „1937 und 1938 aber verzichtet Baumeister in den IDEOGRAMMEN und den EIDOS-Bildern vollständig auf Themen, die der unmittelbaren Umwelt entstammten, und auf die Identifizierbarkeit seiner Figurationen mit allgemein bekannten Wesen und Dingen. Die Figurenkompositionen, die jetzt entstanden, stellten dar, was sie selbst waren. Form und Farbe waren nun alles.“ Und weiter: „Entfesselung« das hieß zuallererst Erneuerung. Kunst, die sich zur Erneuerung als unfähig erweist, gibt sich in ihrem schöpferischen Kern selbst auf.“ ↩︎
  6. „Das deutsche Kunstmuseum gilt dagegen [zu deutschen Kunstgewerbemuseen für »angewandte« Kunst, gegr. im Kaiserreich] als Ort der »freien« Kunst, des autonomen Kunstwerks. Die Trennlinie dieses Bezirks ist gegenüber der »angewandten« Kunst sauber gezogen, weil diese aus dem Kunstmuseum ausgeschlossen und einer eigenständigen Institution zugeordnet wird. Damit ist es dem Bildungsbürgertum gelungen, die von ihm bevorzugte Kunst frei von direkten gesellschaftlichen, von gewerblich-industriellen Bestimmungen zu halten. »Kunst als getrennter Bereich war von jeher nur als bürgerliche möglich« (Adorno et al. 1984: 180).“, s. Lutz Hieber/Stephan Moebius: „Begriffsbestimmung Moderne, Avantgarde und Postmoderne“ in: „Aktivismus von Dada bis zur Postmoderne“, 2009 transcript Verlag, Bielefeld ↩︎
  7. Ein prominentes Beispiel dürfte hier Max Bill sein, der seit 1952 Leiter der Abteilung ‚Architektur und Produktform‘ an der Hochschule für Gestaltung Ulm war, wo er 1957 seine Tapetenkollektion „bill salubra“ Tapetendessins für die Salubra-Werke A.G. (Grenzach-Wyhlen/Baden) realisierte. (Koch, Hanna Elisabeth: „Schönheit hat heute einen neuen Sinn – Zum westdeutschen Design der 1950er Jahre am Beispiel der Tapetenindustrie” (Diss.), 2014, Hannover, S. 291, sowie Abbildung „bill salubra“ Tapetendesign S. 247; Salubra Heft Kollektion 1958, S. 8) ↩︎
  8. Wie eng diese neuen Fachschulen künftig auf das Handwerk ausgerichtet sein sollten, wurde in den 1940er/1950er-Jahren heftig diskutiert. Ihre Öffnung gegenüber der industriellen Formgebung war zentraler Bestandteil von Modernisierungsbestrebungen, wenngleich es hierbei vor allem auf die persönliche Einstellung der Lehrenden zum Industriedesign ankam. (Vgl. Oestereich, Christopher: „‚Gute Form‘ im Wiederaufbau. Zur Geschichte der Produktgestaltung in Westdeutschland nach 1945“ (Diss.), 2000, Lukas-Verlag Berlin, S. 378-449) ↩︎

Kurator:innenführungen
Mittwoch, 13. Dezember 2023, 18:30 Uhr
mit Hannelore Paflik-Huber
Mittwoch, 24. Januar 2024, 18:30 Uhr
mit Hans Dieter Huber

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