Was dürfen Sammler:innen mit Werken tun – oder nicht?

Kunstfreiheit vs. Eigentumsfreiheit? Arnulf Rainer vs. Kirche. Was sagt die Gesetzgebung?
Eine Einordnung

Dass private Sammlerinnen und Sammler sehr viel Gutes bewerkstelligen, indem sie ‚ihre‘ Kunstwerke in Ausstellungen zeigen oder vermitteln, kann gar nicht genug besprochen werden. Auch publizieren sie zur Kunst und vernetzen sich untereinander – oder auch mit Künstler:innen, Galerien und Institutionen. Das ist ein großes Engagement.

Nun gibt es einen aktuellen Fall, der die Frage aufwirft, was Privatsammlungen dürfen oder nicht. Wie DER STANDARD berichtete, sei in Wien für die Fastenzeit 2026 im Stephansdom eine große Ausstellung mit 77 Kreuzarbeiten von Arnulf Rainer geplant, deren Leihgeber der Sammler Werner Trenker [https://sammlung-werner-trenker.com/kunstsammlung-trenker/] ist. Rainer, heute 95 Jahre alt, habe sich jedoch anwaltlich gegen das Vorhaben ausgesprochen. Er betone, dass seine in Kreuzform gemalten Werke keinen religiösen oder christlichen Bezug hätten, sondern Ausdruck eines persönlichen Befreiungsschlags seien. Die geplante Ausstellung im sakralen Raum empfinde er als „kirchliche Vereinnahmung“ und als mögliche Fehlinterpretation seiner künstlerischen Intention. Über seinen Anwalt ließ er mitteilen, er lehne die Ausstellung ab, wolle aber keine gerichtliche Auseinandersetzung führen.

Was mich zu diesem Beitrag bringt, ist die Reaktion der Kirche: Der Dompfarrer Toni Faber erklärte, das Domkapitel sei erstaunt über den Widerspruch des Künstlers, sähe aber keinen Grund, die Schau abzusagen. Faber betone, man respektiere Rainers Perspektive und verstehe die Werke nicht als religiöses Symbol, sondern als Ausdruck einer „größeren menschlichen Form“.
Eine zweite Motivation sind die Kommentare unter dem Parnass-Artikel.
Um es kurz zu machen: Sammler:innen dürfen ein Werk besitzen, zeigen und weiterverkaufen, nicht aber gegen den erklärten Willen des Urhebers in einem Kontext präsentieren, der eine inhaltliche Vereinnahmung oder Fehlinterpretation mit sich bringt.
Arnulf Rainer hätte in Deutschland mit § 14 UrhG („Entstellung oder Beeinträchtigung“) gute Karten, eine kirchliche Inszenierung zu untersagen, wenn er glaubhaft machen kann, dass sie sein Werk in religiösem Sinn umdeutet oder sein künstlerisches Anliegen verfälscht. Zudem bleibt das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) bei ihm, sofern es nicht ausdrücklich (per Kaufvertrag) abgetreten wurde.
Das ist ja grundlegend gut zu wissen, sowohl für Käufer als auch für Verkäufer.

Nach deutschem Urheberrecht (§§ 14 und 18 UrhG) bleibt das Recht zur öffentlichen Ausstellung eines Werkes grundsätzlich beim Urheber, auch wenn das materielle Eigentum – etwa durch Verkauf – auf eine andere Person übergegangen ist. Eigentum und Urheberrecht sind strikt voneinander zu trennen: Der Erwerb eines Werkstücks verleiht dem Käufer zwar Besitz- und Verfügungsgewalt über das physische Objekt, nicht aber das Recht, es ohne Zustimmung des Urhebers öffentlich zu zeigen oder in einem bestimmten Kontext zu präsentieren. Das sogenannte Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) ist ein eigenständiges Verwertungsrecht, das der Urheber ausdrücklich einräumen muss; es geht nicht automatisch mit dem Eigentum am Werk über.

Darüber hinaus schützt § 14 UrhG die geistige und persönliche Beziehung des Künstlers zu seinem Werk. Danach kann der Urheber jede Entstellung oder sonstige Beeinträchtigung untersagen, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Dies gilt nicht nur für materielle Veränderungen, sondern auch für Kontexte, in denen das Werk in einer Weise gezeigt wird, die seine Aussage verfälscht, instrumentalisiert oder inhaltlich umdeutet – etwa durch religiöse, politische oder ideologische Vereinnahmung. Selbst wenn ein Kunstwerk unverändert bleibt, kann bereits seine Einbindung in einen bestimmten Präsentationsrahmen eine unzulässige Beeinträchtigung im Sinne von § 14 UrhG darstellen, sofern sie das Verständnis oder die Wirkung des Werkes wesentlich verändert. In der Praxis wird dann abgewogen zwischen: dem Persönlichkeitsrecht des Künstlers / der Künstlerin (Urheberpersönlichkeitsrecht, § 14 UrhG, Art. 5 Abs. 3 GG) und dem Eigentumsrecht des Sammlers / der Sammlerin (Art. 14 GG). Übertragen auf den aktuellen Fall würde der Künstler nach deutschem Recht berechtigt sein, der Präsentation seiner Werke in einem kirchlichen oder religiös aufgeladenen Kontext zu widersprechen, sofern er nachvollziehbar darlegen kann, dass dadurch die inhaltliche Aussage oder die künstlerische Intention seiner Arbeiten missverstanden oder vereinnahmt würde.

Auch in Österreich gilt das Grundprinzip: Eigentum ≠ Urheberrecht

Wie in Deutschland gilt auch in Österreich strikt die Trennung zwischen Eigentum am Werkstück und Urheberrecht am Werk. Das regelt § 24 Abs. 1 UrhG (österreichisches Urheberrechtsgesetz):
„Der Eigentümer des Werkstückes ist nicht berechtigt, das Werk auf eine Art zu benutzen, die dem Urheber vorbehalten ist.“ Der Sammler darf also auch hier das Werk besitzen, verleihen, verkaufen – aber nicht automatisch öffentlich ausstellen oder inszenieren.

Ausstellungsrecht: In Österreich gibt es kein ausdrücklich normiertes „Ausstellungsrecht“ wie in § 18 des deutschen UrhG. Das ist ein wichtiger Unterschied. Allerdings wird in der juristischen Literatur (und auch in der Praxis) das Recht zur öffentlichen Ausstellung als Teil des Verbreitungsrechts (§ 16 öUrhG) oder des öffentlichen Zeigens (§ 18a öUrhG) verstanden. Das bedeutet: Auch in Österreich braucht der Aussteller grundsätzlich die Zustimmung des Urhebers, wenn das Werk in einem Kontext gezeigt wird, der über den privaten Besitz hinausgeht. Das gilt besonders, wenn eine Ausstellung eine öffentliche Wiedergabe darstellt – etwa in einem Dom, Museum oder auf öffentlichem Grund. Also, auch wenn das „Ausstellungsrecht“ nicht wörtlich geregelt ist, folgt aus den §§ 16 und 18a öUrhG ein vergleichbares Schutzmechanismus: Der Urheber behält die Verfügung über öffentliche Präsentationen seines Werkes.

Urheberpersönlichkeitsrecht (§ 19 öUrhG): Das ist das Herzstück in Österreich – und hier ist die Parallele zu § 14 deutsches UrhG besonders eng. § 19 öUrhG lautet: „Der Urheber hat das Recht, Entstellungen oder andere Beeinträchtigungen seines Werkes zu verbieten, die geeignet sind, seine geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.“ Dieser sogenannte Integritätsschutz gilt sehr weit: Er umfasst nicht nur materielle Veränderungen, sondern auch kontextuelle Entstellungen – also Fälle, in denen das Werk in einem Umfeld oder Zusammenhang gezeigt wird, der die Aussage verfälscht oder den Urheber kompromittiert. Die österreichische Rechtsprechung erkennt ausdrücklich an, dass auch die Art der Präsentation, der Ort oder der Begleittext eine solche Beeinträchtigung darstellen können. Damit hat Rainer juristisch durchaus ein Argument: Eine Ausstellung im Stephansdom, die seine Kreuzbilder mit einem sakralen Bedeutungsrahmen versieht, kann als Verfälschung der Intention und somit als Verletzung seiner Urheberpersönlichkeitsrechte (§ 19 öUrhG) gelten. Wie in Deutschland wird auch in Österreich zwischen den persönlichen Rechten des Urhebers (Kunstfreiheit, geistige Integrität) und den Eigentumsrechten des Sammlers oder Ausstellers abgewogen. Die österreichischen Gerichte betonen aber, dass der Schutz der geistigen Beziehung zwischen Urheber und Werk ein besonders hohes Gewicht hat, solange der Urheber lebt. In Rainers Fall (95 Jahre, lebender Künstler) würde daher das Persönlichkeitsrecht voraussichtlich stärker wiegen als das Eigentumsrecht des Sammlers.

Arnulf Rainers Werk und Haltung lernte ich insbesondere durch die Aufzeichnungen des Kunsthistorikers und Museumsmannes Ernst-Gerhard Güse kennen, was in die Ausstellung „Ernst-Gerhard Güse in der Wirkwelt der Kunst“ einfloss (Berlin 2024/25)

Hinsichtlich der Auslegungsfrage im spezifischen Fall, bleibt nun nicht zu übersehen, dass Arnulf Rainer seine Kreuzformen auch in zumindest biblischen Kontexten gestaltet und autorisiert hat. Ein Beispiel ist die Arnulf-Rainer-Bibel – Altes und Neues Testament. Es sind 1376 Seiten mit 160 Farbtafeln und einem in den Einband eingesetzten Metall-Kreuzrelief von Arnulf Rainer. Diese Publikation ist eine religiöse Edition, mit theologischer Übersetzung, sakraler Gestaltung und kirchlicher Verlagsanbindung (Pattloch = katholischer Verlag).
Allerdings hat er immer auch betont, er sei nicht religiös im kirchlichen Sinne, aber „die christliche Symbolik“ sei Teil der europäischen Bildkultur, mit der er arbeite, was sich durchaus signifikant von der Institution Kirche trennen lässt.
Welcher Künstler, welche Künstlerin kann denn überhaupt frei von dieser Bildkultur sein? Die Formen, Symbole und Topoi der christlichen Kunst sind in der westlichen Kunstgeschichte so tief eingeschrieben, dass sich niemand, der/die mit Körper, Leid, Erlösung, Licht oder Opfer arbeitet, völlig davon lösen kann. Diese Motive gehören – wie etwa die klassische Säule in der Architektur oder der Goldgrund in der Malerei – zum ikonografischen Erbe, nicht zwingend zum Bekenntnis.
Damit steht Rainers Argumentation meines Erachtens durchaus auf kulturgeschichtlich stabiler Basis: Er kann geltend machen, dass seine Kreuzform nicht Ausdruck von Glaube oder Sakrament ist, sondern ein formales und existenzielles Zeichen, das aus der Bildtradition stammt, ohne sie affirmativ fortzuführen.

Die Trennung zwischen religiöser Symbolik als kultureller Sprache und Religion als institutioneller Deutungshoheit ist dabei zentral.
Gerade wenn Künstler:innen noch leben, sollte jede Ausstellung und Präsentation im engen Austausch mit ihnen erfolgen. Ein offenes Gespräch über Kontext und Intention schützt nicht nur die Werke, sondern auch das gegenseitige Vertrauen. Sammler:innen, Kurator:innen und Ausstellungsmacher:innen tragen hier gemeinsame Verantwortung: gute Absichten genügen nicht, wenn sie am Willen der Urheber:innen vorbeigehen. Am sinnvollsten gelingen Ausstellungen und Begegnungen, wenn sie im Dialog entstehen – mit gegenseitigem Interesse, Respekt und Verständnis. Wer fragt und zuhört, öffnet Raum für gemeinsame Perspektiven – in der Kunst wie im Leben. Denn dieser Fall ist nicht nur ein Beispiel für die bildende Kunst, sondern für alle Formen des künstlerischen Ausdrucks – und eigentlich für jedes menschliche Miteinander.
(Herr Faber, mit Verlaub, aber wie kann man den Wunsch eines Menschen hören und sich trotzig darüberstellen, zumal als christliche Institution??)

Jana Noritsch

Quellen:

DER STANDARD: https://www.derstandard.at/story/3000000294792/arnulf-rainer-protestiert-gegen-kreuz-ausstellung-im-stephansdom

Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte BRD: https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/

Urheberrecht in Österreich: https://www.jusline.at/gesetz/urhg

Buchhandel: Die Arnulf-Rainer-Bibel. Altes und Neues Testament. In der Übersetzung von Hamp, Stenzel und Kürzinger, Verlag Augsburg, Pattloch Verlag, 1998. 1376 Seiten mit 160 Farbtafeln auf hochwertigem Bilderdruckpapier, 35 x 26 cm, Holzeinband mit Lederrücken, dreiseitigem Farbschnitt und einem in den Einband eingesetzten Metall-Kreuzrelief von Arnulf Rainer. Erschienen in einer Auflage von 3000 numerierten Exemplaren.

Published by:

Avatar von Unbekannt

dedicated conscious collectors

We discover relevant perspectives, merits, editorial keynotes, collectors' and artists' expositions we do look upon favorably. We work within the fields of collection or art concepts, critics, texts about artworks, collections and expositions, and we mainly support the visions of artists and the interests of collectors. That is the reason we called us ]dedicated collectors. Here you can find insides from behind the scenes, news about important researches, recommendations where to go and a critic view of several processes we recognized in arty contexts. Proudly supported by Collectors Club Berlin.

Katgeorien Allgemein2 Kommentare

2 Gedanken zu “Was dürfen Sammler:innen mit Werken tun – oder nicht?”

  1. Liebe Jana,
    vielen Dank für diesen Artikel! Ich hatte letztes Jahr einen solchen Fall in Tschechien. Aber der Künstler wollte die Gunst des Sammlers nicht auf’s Spiel setzen und hat die Kröte geschluckt!
    Ich hoffe wir sehen uns einmal wieder und treffen uns zu einem Kaffee.
    Sag doch mal Bescheid, wenn du im Prenzlauer Berg bist.
    Viele Grüße
    Anemone

    BAM! Berlin Art Management
    +49 171 490 5117
    mail@anemone-vostell.com

    http://www.berlinartmanagement.com
    https://www.instagram.com/anemone.vostell/

Hinterlasse eine Antwort zu dedicated conscious collectors Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..